Weihnachten 2016 in Kolumbien – 8753 Kilometer entfernt von Mesum

Mesum Im Sommer verabschiedete sich die Abiturientin Wiebke Löchte aus Mesum, um ein Jahr lang in Kolumbien tätig zu sein. Unterwegs ist sie dort für das weltweite AFS-Netzwerk, einem gemeinnützigen Verein für Jugendaustausch und interkulturelles Lernen, der für seine Arbeit „Lernen durch tatkräftiges Helfen“ durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird. Es geht ihr dabei nicht nur darum, neue Sprachen zu lernen und den eigenen Horizont zu erweitern, sondern in dieser Zeit sich auch sozial und aktiv in einem Freiwilligen- und Entwicklungshilfedienst zu engagieren. Für diesen Einsatz unterstützten sie vor ihrer Abreise verschiedene Mesumer mit großzügigen Spenden. In einem längeren Bericht für die MV möchte sie dazu gern Dank sagen, aber auch über ihre Arbeit, Land und Leute berichten und ganz passend zur Jahreszeit über Weihnachten in Kolumbien erzählen.

Zunächst schreibt sie über ihre Tätigkeit und ihren Einsatz: „Jetzt bin schon fünf Monate in Kolumbien und muss sagen, dass ich keine bessere Entscheidung treffen konnte. Es ist etwas komplett anderes, in einem fernen fremden Land zu leben, neue Kulturen, neue Leute, neue Sitten und neue Lebensstile und die Mentalität des Landes kennen zu lernen. Ich wohne in einer Gastfamilie und arbeite an einer öffentlichen Schule. Genauer gesagt als Englischlehrer-Assistentin in der Sekundarschule ‚Aurelio Martinez Mutis‘ in Bucaramanga, das genau 8753 Kilometer von Mesum entfernt liegt. Dort unterstütze ich zwei Englischlehrer im Unterricht der Klassen 8 bis 11. In Kolumbien gehen die Kinder nur bis zur 11. Klasse zur Schule und verlassen sie mit 16 Jahren. Manchmal ist die Arbeit mit 40 Schülern in einer Klasse gar nicht so einfach. Hinzu kommt noch, dass Englisch kein beliebtes Fach ist. Viele Schüler sehen es als Zeitverschwendung an und erkennen nicht, wie wichtig es in der heutigen Welt ist, sich auf Englisch verständigen zu können. Das Problem ist hier, dass die Menschen in den Nachbarländern Venezuela, Peru, Ecuador und Brasilien spanisch und portugiesisch sprechend sind und daher Englisch zur Kommunikation nicht benötigt wird.

Da in meiner Schule die Kinder alle aus ärmeren und unteren Bevölkerungsschichten kommen, erfahre ich ab und zu von sehr schlimmen Geschichten: Von alkoholabhängigen oder arbeitslosen Eltern, Gewalt bei schlechten Noten, Drogenproblemen, suizidgefährdeten Schülern. Erschwerend kommt die große Armut hinzu. Wie sollen sich die Kinder und Jugendlichen bei all den schweren Problemen noch auf die Schule konzentrieren? Lehrer meiner Schule kaufen regelmäßig für einige Schüler Essen, wenn jene zu arm sind und mit leerem Magen zu Schule kommen.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Schülern zu helfen und sie zu motivieren, damit sie lernen, lernen und lernen. Denn für besonders gute Schüler verteilt der Staat Stipendien und nimmt damit eine finanzielle Last von den Schultern der Familien. Dabei gibt es wirklich super nette und schlaue Schüler, die trotz der schwierigen Situation in der Familie sich anstrengen. Davor habe ich echt großen Respekt und frage mich manchmal, woher sie diese Motivation und den Willen nehmen.“

Das Um- und Eingewöhnen vom kalt-rauen Deutschland in den warmen Norden Südamerikas unter der Äquatorsonne fiel Wiebke Löchte nach eigenem Bekunden überraschend leicht. Obwohl ihr das Gastland zuvor von manch Vorurteil belastet schien und nicht wenige Zeitgenosse vor einem gefährlichen Kolumbien, politischer Unstabilität und Unsicherheit und Drogenproblemen, vor allem in den großen Städten wie Bogota, Cali und Medellín, zu warnen vermeinten. Aber von all dem verspürte sie bisher nichts.

Im Gegenteil: „Ich habe nicht lange gebraucht, um mich in dieses Land zu verlieben. Kolumbien hat so viel an Kultur und Natur zu bieten: Wüste, Sierra Nevada, Amazonas, karibische Küste, Berge. Nach Brasilien ist Kolumbien das Land mit der größten Biodiversität (= biologische Vielfalt). Davon erzählen die Kolumbianer nur allzu gern. Sie sind sehr stolze Menschen, aber empfangen alle Fremden mit Freundlichkeit und Offenheit. Daher war es für mich von Anfang an sehr einfach, mich wohl zu fühlen. In meiner Schule haben mich viele Lehrer zu Ausflügen eingeladen, um mir die Schönheiten Kolumbiens zu zeigen. Da wurde mir schnell so manch Unterschied zu Deutschland bewusst; vor allem die Gelassenheit der Menschen. Oder dass man die Busse mit einem einfachen Handwinken zu sich ranholt. Oder dass man das Klopapier hier nicht in die Toilette wirft, sondern in einen separaten Mülleimer.“

Eine weitere neue Erfahrung ist für Wiebke Löchte, das Weihnachtsfest viele Tausend Kilometer fern der Familie zu feiern und dazu neue Bräuche und Sitten zu erleben: „Die Kolumbianer fangen schon Ende Oktober an, für Weihnachten zu schmücken. Ich verbringe Weihnachten mit meiner Gastfamilie in Bucaramanga. Wie auch in Deutschland feiern die Kolumbianer Weihnachten am 24. Dezember. Alllerdings kennen sie keinen zweiten Weihnachtstag. Die Weihnachtsfestzeit beginnt schon vorher. Vom 7. auf den 8. Dezember feiert man in Kolumbien den Tag ‚Día de las velitas‘ (Tag der Kerzen). Dann versammeln sich die Leute in der Nacht mit Kerzen, Feuerwerk und Lampen auf der Straße. Die Kolumbianer begehen mit dem Feiertag am 8. Dezember die Ankunft der Jungfrau Maria. Ich habe diese Tradition mit meiner Gastfamilie in einem Park gefeiert, wobei sich viele Leute versammelten, wo Musik gespielt und eine Kleinigkeit gegessen wurde. Vorher gab es noch eine heilige Messe im Park, in der eine Statue der Jungfrau Maria gesalbt und angebetet wurde. Es war eine sehr schöne Stimmung und ein Tag für die ganze Familie.

Eine weitere weihnachtliche Tradition ist ‚Novena de Aguinaldos‘ (Novene der Weihnachtsgaben). In der Zeit vom 16. bis zum 24. Dezember werden im häuslichen Familienkreis und in der Nachbarschaft täglich Gebete verrichtet, die sich auf die neun Monate vor der Geburt Jesu beziehen. In diesen neun Tagen gibt es jeden Tag um 5 Uhr morgens einen Gottesdienst und es werden Weihnachtslieder gesungen.

Was das Schmücken des Weihnachtsbaumes angeht, mögen die Kolumbianer es sehr kitschig. Aber nicht nur im Wohnzimmer leuchtet und funkelt es, sondern die Häuser und Straßen werden mit übergroßen Weihnachtsmännern geschmückt. Immer nach dem Motto: Je mehr und bunter desto besser und schöner! Da in Kolumbien die Familie einen sehr hohen Stellenwert hat, werden Weihnachten und Silvester mit der ganzen Familie gefeiert. Es wird ein großes Essen hergezaubert, dann getanzt und Musik gespielt. Auch am Silvestertag gibt es ein Ritual, bei dem für jeden Monat des nächsten Jahres eine Weintraube gegessen wird. Vorher darf sich jeder dazu etwas wünschen. Für mich ist alles neu und ungewohnt: Weihnachten unter Palmen bei tropisch warmen Temperaturen.“

Bucaramanga, Wiebke Löchtes neue Heimat für ein Jahr, nennt sich „die schöne Stadt Kolumbiens“, hat etwa 530.000 Einwohner und ist die Hauptstadt des nördlichen „Departamentos Santander“. Die wunderschöne umgebende Landschaft, die vielen Parkanlagen und die Nähe zur Karibikküste erlebte sie bisher wiederholt bei kurzen Ausflügen, Wanderungen und Einladungen. Aber sie hofft davon noch mehr kennen zu lernen: „Im Januar besuche ich zunächst in Bogotá ein Camp von meiner Organisation AFS. Nach sechs Monaten treffen sich nochmal alle Freiwilligen und tauschen sich über ihre Erfahrungen und Erlebnisse aus. Gleichzeitig geht nach zwei Monaten Schulferien Mitte Januar auch wieder der Schulbetrieb los. In meinem Projekt werde ich dann noch bis Anfang Juni arbeiten, so dass mir bis zum Ende meiner Zeit noch ungefähr ein freier Monat bleibt, indem ich in Kolumbien oder Lateinamerika herumreisen kann. Ende Juni muss ich danach wieder in den Flieger nach Deutschland einsteigen und Kolumbien ‚Adios!‘ sagen. Aber ich bin mir sicher, dass ich ein ganzes Leben von diesem Auslandsjahr profitieren werde und sehr viele Erfahrungen und Erlebnisse mit nach Deutschland nehmen kann. Schöne Grüße bis dahin und schöne Festtage!“

Das Zentrum von Bucaramanga, das auch Sitz eines Erzbischofs ist
Ein einmaliges Erlebnis: Wiebke Löchte allein in der Tacoa-Wüste
Eine ganz neue Erfahrung in ungewohnter Landschaft: Auf dem Pferderücken durch die Tacoa-Wüste
Fröhlich und bunt verstehen die Menschen in Kolumbien, wie hier die kulturelle Woche an der Schule zu feiern; in der Bildmitte Wiebke Löchte
Die Sekundarschule ‚Aurelio Martinez Mutis‘ in Bucaramanga
Schon Ende Oktober beginnen die Kolumbianer damit, die Straßen, Plätze und Wohnungen festlich-weihnachtlich mit Lichtern zu schmücken
Schon Ende Oktober beginnen die Kolumbianer damit, die Straßen, Plätze und Wohnungen festlich-weihnachtlich mit Lichtern zu schmücken
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