„Stunden vorher musste der Kanonenofen angeheizt werden“

Pfarrerin Britta Meyhoff und Ulrich von der Haar begrüßten die Gesprächsrunde
Pfarrerin Britta Meyhoff und Ulrich von der Haar begrüßten die Gesprächsrunde

Mesum Viele informative, anschauliche und mitunter auch einige amüsante Erinnerungen und Redebeiträge hatten am Samstagnachmittag eine stattliche Anzahl von Besuchern des Zeitzeugengespräches zu einer gemütlichen Kaffeerunde in der Samariterkirche mitgebracht, zu der die evangelische Kirchenleitung und Geschichtswerkstatt Mesum (GWM) gemeinsam eingeladen hatten. Bei der Begrüßung zeigte sich Pfarrerin Britta Meyhoff sehr erfreut über die gute Resonanz und das rege Interesse der Gäste: „Ich wohne seit 20 Jahren gerne in Mesum und bin jetzt ebenso wie Sie sehr gespannt, viel Neues aus der Geschichte unserer Gemeinde zu erfahren.“

Moderatorin Ise Kamp führte dann in den Ablauf des Rundgespräches ein und stelle zunächst als Gast und Referenten Prof. Dr. Herbert Loock vor, der Idee und Initiative zu diesem Treffen entwickelte. Ulrich von der Haar bedankte sich als Sprecher der GWM für die Gastfreundschaft und betonte die gute Zusammenarbeit beim gemeinsamen Anliegen, „die Geschichte der evangelischen Gemeinde in Mesum zu erforschen und zu dokumentieren.“ Dabei hoffe man heute auf „viel Erzählen aus persönlichen Erfahrungen und eigenem Erlebten.“

Referent Herbert Loock outete sich dann zu Beginn seines Referates zunächst als gebürtiger Mesumer und als lange Jahre eng mit der Gemeinde vor Ort verflochtener evangelischer Christ, ehe es ihn zu Studium und Beruf nach Mönchengladbach verschlug. Sein Leben lang begleiteten ihn enge Kontakte zu seiner Heimatgemeinde, vor allem durch Familie, Freunde und in jüngerer Zeit zur GWM. Dabei habe er in Begegnungen erfahren, dass im Gegensatz zur katholischen Gemeinde nur wenig über die Geschichte der evangelischen Christen bekannt war: „Man kennt das Kirchengebäude, aber kaum etwas über Leben und Wirken der Menschen.“

Darum begann er in Absprache und Zusammenarbeit mit der GWM umfangreiche Studien, Recherchen und Untersuchungen in Archiven und bei Informanten. Im Überblick stellte er anschaulich seinen ersten Entwurf einer Kirchengemeindegeschichte vor. Demnach tauchen erstmals um 1841 in einer Spendenliste zum Kirchneubau in Rheine zwei Namen von zwei evangelischen Mesumern auf. Frühere Nennungen seien nach heutigem Forschungsstand bisher nicht bekannt. Zeitarbeiter beim Bahnbau und die Abordnung preußischer Beamter erhöhten danach die Zahl der evangelischen Christen gering, die seit 1867 von der Filialgemeinde Emsdetten als Teil der Rheiner Gemeinde betreut wurden. Diese Zuordnung blieb auch dann, als Emsdetten selbständig und von Rheine losgelöst wurde. Bekanntlich stimmten die Mesumer Gläubigen dann 2001 konkret darüber ab, sich mit der evangelischen Jakobi-Gemeinde in Rheine zusammenzuschließen.

Die unterhaltsame Zeitreise führte durch weitere Epochen bis in die Jetztzeit. Das führte dazu, dass die Zuhörenden nunmehr vermehrt aus ihrem eigenen Erleben und Wissen zum Thema beitragen konnten. Passen mussten sie zur NS-Zeit und der Frage, ob die Gemeinde damals mehrheitlich zur „Bekennenden Kirche“ oder zur politisch angepassten „Deutschen Kirche“ tendierten. Lebhafter wurden die Beiträge zur Vorstellung all der Pastoren, die oft nur sehr kurz als Hilfsprediger und Vikare von Emsdetten aus die Gemeinde betreuten: „Für einige von ihnen war dies hier das wichtige Springbrett zur eigenen Pfarrei.“ Dabei tauchten nicht nur die Namen von einigen immer noch gut bekannten Pastoren wie Tutas, Treulieb, Bardelmeier und Babbick auf, sondern darunter war auch ein „revolutionärer Theologe wie Prof. Dr. Erwin Fahlbusch.“

In den Mittelpunkt der Diskussion rückten kurzzeitig die verwickelten Grundstücksverhandlungen und Bauplatzsuche, ehe 1956 der Bau der eigenen Kirche verwirklicht werden konnte. Angesprochen wurde auch die Namensgebung 1996 „Samariterkirche“. Zeitzeugen erinnerten sich: Zum silbernen Kirchjubiläum 1991 schuf der Mesumer Bildhauer Werner Bruning das große Relief mit dem barmherzigen Samariter im Zentrum, „um die kahle weiße Wand vorn in der Kirche zu schmücken.“ 1996 sei es dann „endlich“ auf Vorschlag von Pfarrer Mann und ihrer Konfirmandengruppe zu einem Antrag gekommen. Es sollte nicht länger bei der namenlos „kleinen evangelischen Kirche in Mesum“ bleiben. Loock ergänzte dazu „die seit Baubeginn tiefe heimatstiftende Bedeutung des Gebäudes für evangelischen Christen, denn die meisten von ihnen waren Heimatvertriebene.“

An die ersten Anfänge eines Gemeindelebens ohne eigene Kirche nach 1945 konnten sich einige Besucher, teils aus Erzählungen von den Eltern, erinnern und lebhaft davon erzählen. Etwa wie sie früher Gottesdienste als Gäste der katholischen Kirchengemeinde in der alten Kirche feierten, wozu „Stunden zuvor der Kanonenofen angeheizt werden musste, damit es dort im Winter wenigstens etwas warm war.“ Oder wie die Frauenhilfe anfangs im Gasthaus Kamp tagte. „Überwiegend problemlos“ sei das Miteinander unter katholischen und evangelischen Familien und Jugendlichen abgelaufen, von Streitigkeiten oder gar handfesten Auseinandersetzungen wusste niemand zu berichten. Evangelische Kinder seien oft nur daran erkannt worden, dass „sie während des katholischen Religionsunterrichtes auf den Flur mussten.“ Es sei mal zu Missverständnissen gekommen, erzählte ein älterer Gesprächsteilnehmer: „Den Karfreitag, unseren höchsten Feiertag, nutzten viele Katholiken gern als willkommenen freien Tag für Arbeiten in Haus und auf dem Feld. Auch mal zum Gülle fahren.“ Aber insgesamt sei man in Mesum gutnachbarlich und einvernehmlich miteinander ausgekommen. Die ersten Gemeinsamkeiten begannen schon in den frühen 1970er Jahren unter den Pfarrern Babbick und Schwarte in einem „ökumenischen Arbeitskreis“. Heute sei Ökumene längst eine gut gepflegte Selbstverständlichkeit.

Wie geht es weiter? Zur Frage von Herbert Loock, der sich abschließend für eine Reihe von wichtigen Anregungen und Hinweisen bedankte, schlugen Pfarrerin Britta Meyhoff und Ulrich von der Haar unisono vor, den Informationsfluss nicht abreißen zu lassen. Alle Teilnehmenden, gleich ob evangelisch oder katholisch, sollten weiterhin zum Thema nach Unterlagen und Inhalten forschen. Weitere Informationen wie Dokumente und Bilder können an beide Partner, insbesondere an GWM und Prof. Loock, vermittelt werden, wo man sie einscannt und dann zurückreicht. Mögliches Endziel: Ein Buch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Mesum. Bericht und Bilder: Franz Greiwe; siehe auch mv-online.de

Prof. Dr. Herbert Loock (mitte vor Fenster) referierte und Ise Kamp (r. daneben) moderierte das Gespräch
Prof. Dr. Herbert Loock (mitte vor Fenster) referierte und Ise Kamp (r. daneben) moderierte das Gespräch
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