Erinnerungen: Weihnachten als Messdiener vor 70 Jahren (von Franz Greiwe)

Mesum Der Zufall wollte es, dass mir wenige Tage vor Weihnachten beim Nachdenken über eine Weihnachtsgeschichte und beim Stöbern in alten Unterlagen, Ordnern und Ablagen ein altes Aktenblatt in die Hände fiel. Beim genauen Hinsehen entpuppte es sich als „Dienstplan für das hochheilige Weihnachtsfest“, aufgestellt für die Messdiener. Schnell stellte sich schon bei ersten Recherchen heraus, dass jener Plan 1952 und damit vor genau 70 Jahren verfasst worden sein musss und dass sich darin ein Thema für eine durchaus spannende Weihnachtsgeschichte verbarg.

Planersteller war früher immer der Obermessdiener. Dazu muss man heute vorab wissen, dass damals die Messdiener nicht wie heute eine eigene Jugendarbeit betrieben. Die Jungen meldeten sich zu der Zeit mit zehn Jahren an, wurden in einer Gruppe erfasst und übten ausschließlich für den Altardienst. Das dauerte wenige Monate mit einmaligen Treffen pro Woche. Instrukteur war dabei der Obermessdiener. Das Amt übte in damaliger Zeit Alfred Scheffer aus,  alsbald gefolgt von Josef  Wilp und Josef Veltmann.

Waren alle genügend ausgebildet, ging die Gruppe wieder auseinander und traf sich allenfalls beim gemeinsamen Dienst am Altar. Einmal im Jahr wurde für alle Messdiener ein gemeinsames Sommerlager, meist in Elte angeboten. In dieser Zeit gab es allerdings ein breites Mitgliedschaftsangebot für Kinder und Jugendliche in Kreuz- und Jungschar der Pfarrjugend, CAJ, Kolping und wenig später in Pfadfinderschaft und Landjugend. Oder junge Leute jagten dem Fußball im SV Mesum nach, turnten im TV Mesum oder spielten Tischtennis im TTR Mesum.

Gruppenarbeit bei den Messdienern bestand derzeit also nur aus dem Üben der Dienste. Dazu gehörte zunächst das Auswendiglernen des Stufengebetes. Das war damals wie alle Gottesdiensttexte in lateinischer Sprache. Die verstand allerdings von den angehenden Jungmessdienern niemand: Es galt ohne großes Verstehen nur auswendig zu rekapitulieren. Darum war der Instrukteur als Gruppenleiter immer ein Oberschüler, der Lateinunterricht erfahren hatte und sich bei Aussprache und notdürftigen Übersetzungen auskannte

Danach standen die Rituale und Abläufe des Dienens am Altar auf dem Plan. Alles war wesentlich komplizierter und aufwändiger als heute: Dem Küster war zu helfen beim vorhergehenden Läuten per Hand und beim Anzünden und Löschen der Altarkerzen. Nach dem Einzug war gemeinsam das Stufengebet zu sprechen, dann das Messbuch mehrmals umzutragen, Wein und Wasser anzureichen, das Priestergewand während der Wandlung zu halten, mehrfach nach genauen Vorgaben zu klingeln. Ferner musste beim Ankleiden die richtige Farbe bei Rock und Kragen zum weißen Rochett beachtet werden: je nach Feiertag und Anlass z.B. in Rot oder Schwarz. Die Röcke waren in Länge und Weite unterschiedlich, je nach Jungengröße. Wer trotzdem den passenden Rock nicht fand, musste mit einem Ledergürtel die für seine Figur passenden Korrekturen mit den notwendigen Halt vornehmen. Dazu war es wichtig, einen eigenen Gürtel mitzubringen, denn die wenigen in der Sakristei reichten an hohen Feiertagen nicht aus.

Für Anfänger und Neulinge war der erste Diensteinsatz am hochheiligen Weihnachtsfest als Fackelträger. Das bedeutete, meist zu sechst, bei festlichen Ämtern und Vespern das Tragen und Halten von Kerzen auf einem Ständer, der aus blankgeputztem Messing bestand. Die älteren Messdiener bekamen „gehobenere“ Dienste am Altar zugewiesen oder waren als Fahnenträger für den feierlichen Einzug bestimmt. Der Ritterschlag für allerdings nur wenige war der Einsatz am und mit Weihrauch. Die beiden dafür bestimmten Messdiener mussten nicht nur das richtige Schwenken des Weihrauchfassen  beherrschen, sondern sich auch mit dem Anzünden und Beobachten der Kohle auskennen, damit immer genügend die richtige Menge von wohlriechendem Rauch entweichen konnte.

Der vorliegende „Plan für das hochheilige Weihnachtsfest“ (siehe auch unten – Fotos) ist zugleich ein aufschlussreiches Dokument über Abläufe und Liturgie am Hochfest Weihnachten und erlaubt wichtige Einblicke in religiöse Rituale und Gottesdienstzeiten und damit auch in Pflichten und Gebräuche der Gläubigen als Kirchbesucher. An „Veerhochtieden“, gemeint sind damit die vier christlichen Hochfeste Ostern, Pfingsten, Maria Himmelfahrt und Weihnachten, besuchten alle Gemeindemitglieder am Festtag zweimal die Kirche. Entsprechend groß war trotz des zusätzlichen Angebotes an Gottesdiensten dennoch bin in die Gänge hinein Andrang und  Geschiebe im Gotteshaus. Da war dann die ordnende, meist streng gebieterische Hand des Kirchschweizers gefragt. Das war damals Gerhard Bügers, der, offiziell  mit Stab und langem rotem Gewand ausgewiesen, den Besucheransturm zu regeln hatte.

Nach der Ucht als Frühmesse gab es noch eine weitere Messe und danach um „8 Uhr 3 hl. Messen“. Das bedeutete im Schnelldurchgang drei Messen hintereinander, jeweils ohne Predigt. Messdiener und Priester verließen dazu jeweils den Chorraum und zogen sofort wieder zum Beginn der nächsten Messe ein. Das feierliche Levitenhochamt, zelebriert von drei Priestern und musikalisch gestaltet vom Kirchenchor, dazu oft begleitet von Instrumentalisten, war der Höhepunkt der weihnachtlichen Liturgie, die nachmittags durch ein feierliche Vesper abgeschlossen wurde.

Die römischen Ziffern hinter den Namen im Plan dienten der Vereinfachung. Aus großen Familien wurden die Söhne und Vettern dem Alter nach durchnummeriert: Wilp I war der Älteste namens Felix, dann kam II mit Franz, III war Karl, IV Albert, V Josef und letztendlich Franz-Josef mit VI. So viele Nummern zu vergeben gab es keine zweite Familie. Greiwe I war mein älterer Bruder, so dass für mich die II blieb. Diese Kennzeichnung galt für alle Dienstpläne das ganze Jahr über. So wusste jeder mit schnellem Blick, wann, wo und mit wem er eingeteilt war. Für den zweiten Weihnachtstag galt die allgemeine Ordnung wie an den Sonntagen mit den Gottesdiensten um 6, 7. 8, 9 und 10 Uhr sowie der nachmittäglichen Andacht.

Wenn wie an Weihnachten immer eine große Anzahl von Jungen als Messdiener eingesetzt wurde, reichte die kleine Sakristei nicht für das gesamte Personal aus. Denn hinzu kamen noch bis zu drei Priester und der Küster, der zugleich Organist war. Darum musste zu Vorbereitung und Einkleiden ein Teil, darunter die Fackelträger und niederen Dienste, zur alten Kaplanei ausgelagert werden. Das war gleich hinter der Kirche ein altes Fachwerkhaus, in dem der damalige Kaplan Wilhelm Trappe – der Kaplan war zugleich immer Präses der Messeiner – wohnte und das 1971 abgebrochen wurde. Damit zum Einzug für den Gottesdienst alle bereit standen, musste jeder pünktlich eine halbe Stunde vorher in der Kaplanei sein. Dort trafen sich gelegentlich die älteren Messdiener nach ihrem Altardienst in gemütlicher Runde mit dem Kaplan. Bericht und Bilder: Franz Greiwe; siehe auch mv-online.de

Die Mesumer Messdiener vor der alten, kleinen Sakristei mit Weihrauch, Fahnen, Vortragekreuz und Fackeln. Die Aufnahme entstand möglicherweise als Abschiedsgeschenk für Messdienerpräses und Kaplan Franz Sellhorst, als er 1949 Mesum verließ
Eine Gruppe von Messdienern um 1949 vor der kleinen, alten Sakristei
Das Fachwerkhaus der alten Kaplanei kurz vor dem Abriss
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