Eine würdige Aufbahrungsstätte für die Toten – Leichenhalle auf dem alten Friedhof in Mesum abgebrochen

Mesum Wer in den letzten Wochen des vergangenen Jahres den alten Friedhof besuchte, dem ist der Abbruch der alten Leichenhalle nicht entgangen. In nur wenigen Tagen legte der Bagger das Gebäude nieder und räumte den Platz frei. Der Bauschutt ist längt fortgeschafft. Allerdings wurden vorher fachgerecht die Fenster mit den Bleiverglasungen ausgebaut und gesichert, damit sie demnächst im neuen Anbau am Pfarrhaus wiedereingesetzt werden können, wo künftig die Pfarrverwaltung untergebracht sein wird.

Der Abbruch mag für manchen Betrachtenden überraschend gekommen sein. Er hat jedoch eine längere Vorgeschichte. Denn schon als die Pfarrgemeinde St. Johannes Bapt. in den 1990er Jahren die Vorplanungen für den Waldfriedhof einschließlich einer großen Aussegnungshalle aufnahm (Eröffnung 2006) war allen Beteiligten klar, dass nach dessen Fertigstellung die Leichenhalle auf dem alten Friedhof keine Zukunft mehr haben würde. Somit stand fest, dass dort fortan keine kostspieligen Investitionen mehr vorgenommen würden.

Vor vier Jahren fasste der Kirchenvorstand endgültig den Beschluss, die Friedhofskapelle auf dem alten Friedhof abzubrechen. Die Gründe dafür waren bekannt: Das Gebäude war baufällig, zu klein und bot  nur wenig Raum für Mitfeiernde bei Beerdigungen, so dass viele, oftmals bei Regen und Kälte, draußen stehen mussten. Die Kapazität der Leichenkammern war beschränkt und die Kühlmöglichkeit längst nicht mehr zeitgemäß. Eine Modernisierung hätte (zu) viel Geld gekostet, zumal inzwischen viele Verstorbene in der neuen Aussegnungshalle auf dem Waldfriedhof oder beim Bestatter aufgebahrt werden. Zudem kann künftig die alte  Kirche für Bestattungen mehr in den Fokus gerückt werden.

Nach nur wenigen Tagen hatte der Abbruchbagger im Dezember 2022 das Gebäude niedergerissen
Nach nur wenigen Tagen hatte der Abbruchbagger im Dezember 2022 das Gebäude niedergerissen

 

Kleiner Rückblick: Beerdigungskultur früher

Wenn ein historisches, weit bekanntes Gebäude abgerissen wird, lohnt immer ein Blick in seine Entstehungs- und Baugeschichte. Diese ist zugleich verknüpft mit einem bemerkenswerten Kapitel der Lokalhistorie. Denn die Leichenhalle revormierte vor genau 60 Jahren das Beerdigungswesen in Mesum. Denn mit ihr entfielen endgültig alte Bestattungszeremonien, die bis dahin meist recht aufwendig waren. Um das näher zu erklären, ist ein Rückblick in vergangene Zeiten notwendig, der allerdings aus Platzgründen nur kurz ausfallen kann.

Trat früher ein Sterbefall in der Familie ein, lief eine in langer Tradition geprägte Folge von Sitten, Ritualen und Gebräuchen um Tod und Begräbnis ab, beeinflusst von alten Nachbarrechten und -pflichten. Zunächst war der nächst wohnende Nachbar zu informieren, der daraufhin alle Verwandten verständigte und die weiteren Formalitäten übernahm: Aufbahren der Leiche im Haus des Toten, Leichenwache und tägliche Gebete, „so lange der Leichnam über Erden stand“. Am Beerdigungstag wurde der Sarg geschlossen und auf einen Wagen gehoben, der mit den besten Pferden des Hofes bespannt war. Dafür hatte der nächste Nachbar zu sorgen, der auch den Leichenwagen lenkte. Dem folgte am Begräbnistag die Trauergesellschaft betend oder still vom Sterbehaus bis zum Friedhof und wo sich unterwegs weitere Nachbarn und Gemeindemitglieder anschlossen. Das Seelenamt fand zumeist nach der Grablegung statt.

Ob es in Mesum eigens bezeichnete Leichenwege gab, ist nicht überliefert. Ferner gibt es nur wenige Informationen, meist nur als mündliche Überlieferung, wie und wo genau die Aufbahrung des Leichnams zu Hause vorgenommen wurde. In der Regel fand sie in Bauernhäusern in der Deele und/oder auf der Tenne, in einfachen Wohnhäusern in der besten Stube oder im Flur statt. Wenn ein Untermieter in kleiner Wohnung verstarb, konnten die häusliche Aufbahrung mit der anschließenden Fahrt zum Friedhof zu einem Problem werden. Das wurde mehr und mehr zu einer öffentlichen Aufgabe für die Gemeinde. Nachdem das einst kleine, landwirtschaftlich strukturierte Dorf Mesum zu einer stattlichen Industriegemeinde herangewachsen war, entwickelte daher die Gemeindeleitung für den Leichentransport eine eigene Dienstleistung.

Der örtliche Spediteur Wältermann kaufte sich dazu einen Leichenwagen und bot an, damit den Sarg zum Friedhof zu fahren. Der Wagen war ein aufwändig gestaltetes Gefährt mit hohem Aufbau, schwarz lackiert, mit feinem Dekor und einem hohen Kreuz auf dem Dach. Beidseitig waren drei große Öffnungen, die den Blick auf den geschmückten Sarg ermöglichten. Der Kutschbock besaß einen schwarzen Überzug, der den Wagenlenker bis zur Hüfte bedeckte. Den beiden Pferden wurden schwarze Decken aufgelegt. Im Dezember 1949 und noch einmal genau ein Jahr später bewilligte der Mesumer Gemeinderat an Hubert Wältermann jeweils zehn Mark als Zuschuss für neue Pferdedecken zum Leichenwagenfahren.

Damit blieb aber das immer drängender werdende Problem, einen würdigen Platz für das Aufbahren des Leichnams zu finden. Hierfür richtete die Gemeinde dann eine Leichenhalle ein. Über den Zeitpunkt gibt die Chronik des alten Krankenhauses einige Auskünfte. Der Schwesternhausverein als Träger des Hauses beschloss 1930, das ihm  gehörende Veltmannsche Hauses gründlich umzubauen. Dieser alte Fachwerkbau stand damals traufseitig direkt an der Bahnhofstraße (heute Geschäftshaus Beurich/Wienkamp). Dazu ließ er die Tennentür zumauern, innen einen Handarbeitsraum schaffen, den offenen Brunnen mit einer Pumpe verschließen und an der östlichen Giebelseite eine kleine Leichenkammer einrichten.

Dort traf sich fortan die Trauergemeinde an der Ecke Veenstraße/Alte Bahnhofstraße zur Aussegnung. Der Raum war allerdings so klein und eng, dass kein Platz für trauernde Angehörige blieb. Nach den Gebeten wurde der Sarg auf den Leichenwagen gehoben und zum Friedhof gefahren. Dabei führte der Wagen den Trauerzug an. Vor dem Friedhofstor hielt er und die Sargträger übernahmen den weiteren Gang zur Grabstelle. Dieses alte Beerdigungsritual endete nun 1963 abrupt mit der Fertigstellung der neuen Leichenhalle, die direkt auf dem Friedhof stand. Das Amt des Leichenwagenfahrers hatte damit ausgedient und mit ihm verschwand ein alter Brauch. Fortan versammelte sich die Familie in der kleinen Aussegnungshalle, derweil die Gemeindemitglieder auf dem Vorplatz standen. Von dort aus geleiteten sie den Sarg zum Grab.

Kurzer Blick in die Baugeschichte

Bis zum Neubau einer Leichenhalle sollte allerdings noch einige Zeit der Vorbereitung mit Ideenfindung, Planungen und Beschlüssen in den zuständigen Gremien vergehen, begleitet von lebhaften Diskussionen in der Öffentlichkeit. Am 14. Mai 1958 fasste der Kirchenvorstand den Beschluss für einen Neubau einer „Leichenhalle auf dem Erweiterungsgelände des Friedhofes“. Dort hatte man gerade ein großes Areal zur dringlichen Vergrößerung erworben. Genau ein Jahr später beschloss er am 20. Mai 1959, für die Neubaufinanzierung ein Darlehn aufzunehmen, sodass er am 15. September 1950 die Baupläne billigen konnte, die in guter Zusammenarbeit mit Rat und Amts- und Gemeindeverwaltung vom Amtsbaumeister Höppner erarbeitet und vorgelegt  worden waren.

Nachdem der Rat der Gemeinde Mesum einen Bauzuschuss in Höhe von 25000 DM bewilligt hatte, konnte 1962 gebaut werden. Dazu wurden am 27. Juni 1962 die Arbeiten vergeben: Bauausführung: Fa. Büscher aus Mesum, Dacheindecken: Fa. Hugendieck aus Rheine, Fliesen: Fa. Schuurmann aus Elte, Klempnerarbeit: Fa. Knüver aus Mesum, Schreinerarbeiten: Fa. Heeke und Fa. Heitjans aus Mesum, Glaser: Fa. Junglas aus Münster, Maler: Fa. Johnen aus Mesum, Schlosser: Fa. Leugers aus Rheine, Betonfensterrahmen: Fa. Lammers aus Rheine, Elektroinstallation: Fa. Vennebusch aus Rheine, Betonstein: Fa. Rott aus Mesum und Naturstein: Fa. Böse aus Rheine.

Zügig wurden darauf die Arbeiten in Angriff genommen, so dass bereits Anfang August 1962 der Grundstein gelegt werden konnte. Das geschah allerdings in aller Stille, wie die MV am 11. August 1962 kurz vermeldete: Nur Pfarrer Bernhard Schwarte, Bauunternehmer Hugo Büscher, die Messdiener Werner Bülter und Valentin Bober sowie einige Bauhandwerker nahmen daran teil.  Anders hielt es die Pfarrgemeinde bei der Eröffnung: „Unter starker Beteiligung der Gläubigen wurde am Karfreitagmorgen die neue Leichenhalle eingeweiht, die im nordöstlichen Tel des Friedhofes ihren Platz gefunden hat“, berichtet darüber die MV am Mittwoch, 17. April 1963. Pfarrer Schwarte betonte dabei, dass „nunmehr eine würdige Aufbahrungsstätte für die Toten geschaffen sei“ und dankte dafür „dem Rat der Gemeinde, der Verwaltung und allen Gläubigen für die Spenden.“

Zur Geschichte der Leichenhalle gehört abschließend, dass ab Beginn der 1960er Jahre eine umfassende Umgestaltung des Friedhofes beschlossen und durchgeführt wurde, wobei die neue Leichenhalle eine wichtige Rolle spielte, deren Klinkerfarbe man dem Sandstein der alten Kirche angepasst hatte. In der Festschrift „600 Jahre Pfarrgemeinde Mesum“ ist dazu nachzulesen: „Das riesige Gräberfeld mit den hohen Zementdenkmälern stand in krassem Gegensatz zu der reizvollen Schönheit der alten Pfarrkirche mitten zwischen den Gräbern. Auch in der gärtnerischen Gestaltung fehlte es sehr an Harmonie zwischen allen Teilen des Friedhofes.“ Die Überlegungen und Anregungen und die daraus folgenden Pläne dazu stießen allerdings nicht überall auf Zustimmung, sondern „auf verständlicherweise zunächst viel Unwillen“, wie die Festschrift weiter vermerkt. Inzwischen gehört der alte Mesumer Friedhof längst zu den regional beachteten, parkähnlich angelegten Begräbnisplätzen mit restaurierten historischen Grabdenkmälern im Umfeld der ehrwürdigen alten Kirche und ergänzt durch verschiedene Gedenkstätten für die Opfer aller Kriege und des Nationalsozialismus. Bericht und Bilder: Franz Greiwe; siehe auch mv-online.de

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